Montag, 15. Januar 2007

Geschichte im Netz – Praxis, Visionen, Chancen

3 Aspekte des noch jungen Mediums Internet werden in einem Vortrag von Prof. Wolfgang Schmale im Rahmen eines Vortrages behandelt.


Praxis

Fairer Weise muss man eingestehen, dass die meisten Webseiten die sich mit geschichtlichen Themen oder Fragestellungen befassen nicht aus den Geschichtswissenschaften stammen. Oft handelt es sich um interessierte „Laien“, die Vorstellungen über eben ein gewisses Thema im Netz Publizieren.
Für die Geschichtswissenschaften selbst sind solche Seiten fast zur Gänze ohne Relevanz, es sei denn dass mit Hilfe solcher Websites problematische Inhalte transportiert werden und im schlimmsten Fall noch als historische Wahrheiten dargestellt werden.
Doch so altmodisch die Bezeichnung Historiker/in vielleicht klingen mag, das www ist an dieser Wissenschaft jedenfalls nicht spurlos vorbeigezogen. Digitalisierte Quellen, online – Bibliothekskataloge und webadäquate geschichtswissenschaftliche Einführungen gehören zu oft bereits zur Realität des Historikers / der Historikerin. Dies bedeutet nicht, dass sie die alten Methoden wie Monographien, Archive, Bibliotheken etc ausgelöscht hätten, modifiziert wurden sie jedoch sehr wohl.

In besonderer Art hat sich dabei die Art Texte zu schreiben verändert. Ein zwanzig - Seitiger Aufsatz ist auf dem Bildschirm nicht besonders attraktiv zu lesen. Man versucht also die Informationen in kleine Module zu packen, die ihrerseits vernetzbar sind; allerdings mit der Besonderheit dass nicht (nur) der/die Autor/in die Informationseinheiten vernetzt, sondern auch der/die Leser/in per Mausklick eigene Vernetzungsgedanken entwickeln kann.
Die Tendenz geht also von der abgeschlossenen „Meistererzählung“ hin zum offenen kreativen Prozess. Natürlich ist dieser nicht mit einem klassischen Schluss versehen, doch muss man bei dieser Kritik die Frage stellen, welcher wissenschaftliche Beitrag oder Argument überhaupt jemals einen wissenschaftlichen Forschungsprozess im klassischen Sinn abgeschlossen hat?

Chancen

„Geschichte im Netz“ bedeutet einen Umbruch in der Geschichtswissenschaft. Abseits der Möglichkeit wissenschaftliche Arbeiten jetzt auch im Internet publizieren zu können ergeben sich eine Vielzahl an Chancen die die Geschichtswissenschaft als Institution völlig verändern können.

Zum einen könnte es aufgrund der digitalisierten Informationsquellen (primäre Quellen, wissenschaftliche Aufarbeitung von Themen im Netz, etc) viel schneller als bisher möglich werden Information zu erhalten und zu verknüpfen.
Zur Zeit ist das aus zwei Gründen noch schwierig: zum einen ist es oft schwierig aus der Vielzahl von Internetseiten mit „historischem“ Inhalt, die qualitativ hochwertigen Seiten herauszufiltern und zum anderen wird das www als Quelle von vielen Historiker/innen noch immer abgelehnt.

Dazu muss allerdings gesagt werden, dass das Internet aufgrund der quasi uneingeschränkten Nutzungsmöglichkeit für jede Person natürlich auch die dementsprechenden Nebenwirkungen mit sich bringt, doch sollte diese Zugänglichkeit zu „Nicht – Wissenschafter/innen“ eher als Chance als Gefahr wahrgenommen werden. Diese Barrierelosigkeit bietet nämlich die Möglichkeit die Geschichtswissenschaft enger mit der Gesellschaft und damit auch ihren relevanten Themen zu verbinden.
Wie bereits oben erwähnt müssen im Netz publizierte Texte auch dessen Anforderungen entsprechen. Diese unterscheiden sich vom klassischen Buch jedoch nicht nur in der Länge der Informationseinheiten und deren Verknüpfung. Mit dem www bekommt die Multimedialität eine völlig neue Bedeutung. Bilder, Tonmedien und eventuell sogar Filme machen eine Website erst zu dem Leseerlebnis, das es ist.
Dies betrifft sowohl die Aufbereitung als auch die verwendeten Quellen. Waren schriftliche Quellen bisher das A und O einer geschichtswissenschaftlichen Arbeit, so fügen sich dem mittlerweile bereits Bilder, Tonmedien, etc hinzu. Das Internet scheint dabei der ideale „Datenträger“ zu sein um diesen Medien weiterhin neuen Auftrieb zu geben.

Das Internet bietet aber nicht nur für bereits „ausgebildete“ Wissenschafter/innen neue Möglichkeiten. Speziell im Bereich des e-Learnings verschmelzen die Vorteile des www und könnten in Zukunft für Studierende (besser) nutzbar gemacht werden. Lernplattformen und IGL – Internet Gestützte Lehre sind bereits etablierte Mischformen zwischen dem reinen e-Learning und der klassischen Übung oder Vorlesung. Gerade Lernplattformen neigen jedoch dazu nur einem kleinen geschlossenen Kreis zur Verfügung zu stehen. In dem man sie mit einem Passwort schützt widerspricht man jedoch eigentlich dem offenen Wissensaustausch der Mittelpunkt nicht nur der Geschichts- sondern aller Wissenschaften sein sollte.

Zuletzt sei noch das Internet als beeinflussender Faktor der Beziehungen zwischen Individuum, Kollektiv und wissenschaftlichem Wissen dargestellt. Durch den gemeinsamen Wissensraum wird das Individuum als tragender Faktor des wissenschaftlichen Arbeitens sekundär. Das gemeinsame Ergebnis steht im Vordergrund. Interessanter Weise hat sich mit diesem Ansatz auch die technische Gestaltung im www verändert. Weg von der vom Individuum erstellten HTML – Homepage hin zum Team- und Prozesshaften CMS.

Visionen

Das Phänomen Internet wird bereits als Medienrevolution bezeichnet. Ähnlich wie die Etablierung der Schrift oder die Erfindung des Buchdruckes veränderte und verändert es noch immer nachhaltig den Alltag der Menschen. Die Revolution kennzeichnet sich jedoch nicht unbedingt durch die rasante Umgestaltung sondern durch die Fundamentalität, die dahinter steht. Ideen, Wissen und selbst aktuelle Nachrichten können im Netz verfolgt werden.
Das Internet wandelt also die Gesellschaft, doch gleichzeitig passt es sich auch der sich verändernden Gesellschaft an. Neue Werte schlagen sich in dem neuen Medium wieder.
Doch dies wird wohl noch seine Zeit dauern.

Zur Zeit steht noch vieles im negativen Licht. Werte wie Beständigkeit und Loyalität sind in den Hintergrund getreten, an ihrer Stelle treten neue Sichtweisen und Zugänge. Eine dieser Sichtweisen ist sicherlich zu versuchen Kohärenzbildungen heraus zu filtern und zu analysieren. Auch die neuen Geschichtswissenschaftlichen Ansätze wie etwa integrationsgeschichtliche oder kulturgeschichtliche versuchen diese Beziehungen zu entziffern.

Die Vision heißt die Geschichtswissenschaft als Wissenschaft geschichtlicher Kohärenzen kleinerer Geschichten zu sehen und das Netzwerk als passenden „Beziehungsschmieder“ zu nutzen.


Reflexion

Das Internet als Chance wahrzunehmen Wissensproduktion und wissenschaftliches Arbeiten zu demokratisieren ist aus meiner Sicht einer der interessantesten Aspekte dieses Textes. Der Autor kann sich – wie er sicherlich weiß – glücklich schätzen, mit dieser Vision für das Internet nicht allein zu sein. Auch Open Source Programme etwa, sind nicht bloß eine neue Technik sondern hinter ihnen steckt der Wunsch bzw die Philosophie, dass Wissen jedem Menschen der sich dafür interessiert zugänglich gemacht werden sollte. Ideen stützen sich dann nicht mehr auf Einzelpersonen die von der Gesellschaft bereitwillig zu Genies erklärt werden, sondern sind die Produkte aller Menschen die daran mitgearbeitet haben.

Das Problem ist nur, dass aus meiner Sicht das Internet leider in die völlig entgegen gesetzte Richtung geht. Das Netz stellt kostenlose Angebote an Wissen nur mehr in beschränktem Ausmaß zur Verfügung, der Rest muss bereits bezahlt werden. An dieser Stelle möchte ich ein Beispiel aus meiner Erfahrung bringen: war es vor etwa zehn Jahren, während meiner Schulzeit etwa noch möglich online Wörterbücher, Lexika oder auch Zusammenfassungen von Büchern, sich ohne Probleme anzusehen und für einen selbst passendes heraus zu picken, so ist heute (oder auch bereits schon vor 4-5 Jahren) nicht mehr so leicht möglich, da die meisten dieser Angebote nun kostenpflichtig sind. Kostenpflichtige Angebote sind nicht mehr die Ausnahme, sondern bereits Regelfall geworden.

Niemand verstand es aus meiner Sicht das Internet besser zu nutzen als das Streben nach Profit. Dies rührt meiner Meinung nach daher, dass das www trotz seiner Eigenheiten immer Werkzeug und nicht Selbstzweck bleiben wird. Ich stimme dem Text zu, dass das Netz die Gesellschaft verändern wird, aber ich denke dass man nicht vergessen darf, dass es dabei immer Mittel zum Zweck bleiben wird – und wie dieser Zweck aussieht bleibt den Menschen selbst überlassen.

Es wäre sehr wünschenswert, dass sich eine Hegemonie für den offenen und Barrierefreien Wissenszugang bildet, da das Netz zum ersten Mal wirklich die technischen Vorraussetzungen dafür bietet. Es ist z.B. nicht mehr notwendig, ins Ausland zu reisen um das dortige Staatsarchiv zu durchstöbern, das Internet bietet die theoretische Möglichkeit es von zu Hause machen zu können. Es gibt auch bereits viele Ansätze und Initiativen die ähnliche Visionen haben, die Frage ist nur ob sie sich durchsetzen können oder ob am Ende der Kapitalismus auch im Internet alles zu einer Ware machen wird.
Schmale - 17. Jan, 16:46

Kommentar Schmale

Geht nicht auch etwas verloren, wenn man nicht mehr ins andere Land reist, um dort im Archiv zu arbeiten? Was wäre die Geschichtswissenschaft ohne die Erzählungen und Legenden über grantige, muffige, nette, äußerst hilfsbereite usw. Archivare....?!

Lexika, zahlungspflichtig: Wikipedia ist ja die große Kampfansage, und nachdem intensiv diskutiert wird und Maßnahmen ergriffen werden, die Qualität zu verbessern, ist der Gewinner - frei oder kostenpflichtig - noch nicht ausgemacht.

romanabrait - 22. Jan, 20:34

Kommentar Brait

Natürlich können digitalisierte die reise das jeweilige land nicht ersetzen, aber ich finde darum geht es auch nicht. auch kein buch über indonesien wird jemals eine reise nach indonesien ersetzen können. ich denke, dass allerdings nur wenige menschen die finanziellen möglichkeiten haben, jedesmal in das betreffende Land zu reisen; vor allem nicht in anbetracht der vielen wissenschaftlichen arbeiten, die man während des studiums oder noch mehr wenn man später im wissenschaftlichen bereich beruflich tätig ist, schreibt oder schreiben wird.

digitalisierte archive würden daher meiner meinung nach keineswegs solche reisen ersetzen, sondern die zugänglichkeit zu den bibliotheken ersetzen.. und diese zugänglichkeit würde ich jederzeit gegen den/die muffige/n aber hilfsbereite/n archivar/in tauschen..

was wikipedia betrifft gebe ich Ihnen recht, allerdings ist mein eindruck mittlerweile, dass es zwar einige (und mit wikipedia auch einige etablierte) formen des freien wissensaustausches gibt, allerdings gibt es in der relation dazu leider unzählige kostenpflichtige.

ich glaube aber auch dass das Internet in einer allgemeineren diskussion um geistiges eigentum eine große rolle gespielt hat und dies hoffentlich auch weiter tun wird, da die verfechter des open source konzeptes meiner meinung nach die erste gruppe war/sind, die eine solche diskussion überhaupt erst in die breite öffentlichkeit getragen hat und wirksam dagegen halten konnte.

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